Sechs blinde Männer wurden gebeten, zu beschreiben, wie ein Elefant aussieht, indem jeder von ihnen einen anderen Körperteil des Elefanten befühlen konnte.Der Blinde, der das Bein befühlt, kommt zu dem Schluß, dass ein Elefant wie eine Säule sei. Der, der den Schwanz befühlt, sagt, dass ein Elefant wie ein Seil sei. Der Dritte, der den Rüssel befühlt, ist sich sicher, dass ein Elefant Ähnlichkeit mit einem Schlauch habe. Der, der einen Stoßzahn befühlt, erklärt, dass ein Elefant wie eine solide Röhre sein müsse. Für den fünften Blinden, der das Ohr befühlt, ist klar, dass ein Elefant wie ein Handfächer sein müsse. Und der Letzte, der den Bauch befühlt, sagt, dass ein Elefant wie eine Wand ist. …
Warum ist es eigentlich so schwierig die Wahrheiten anderer Menschen anzuerkennen und gemeinsam nach einem größeren Rahmen zu suchen, in dem alle diese Teilwahrheiten ihren Platz finden können?
In vielen Lebensbereichen, insbesondere in der Politik, scheint es den Akteuren nicht möglich zu sein, die Wahrheiten, die andere Menschen, Gruppen, Parteien für sich gefunden haben, anzuerkennen. Häufig wirft man sich gegenseitig vor, die Situation nicht richtig analysiert oder verstanden zu haben und dass die Lösungsansätze in eine völlig falsche Richtung gehen. Manchmal wird auch einfach fehlendes Verständnis oder mangelhafte Qualifikation, sich überhaupt sinnvoll mit einem Problem auseinandersetzen zu können, unterstellt.
Wenn Menschen ein Problem intensiv durchdenken, ausführlich diskutieren und dann zu einem Ergebnis, einer Lösung, einer für sie stimmigen „Wahrheit“ gelangen, dann kann das doch nicht einfach als „falsch“ abgetan werden, nur weil eine andere Gruppe von Menschen, die das gleiche Problem intensiv durchdenken und ausführlich diskutieren, zu einer anderen, vielleicht sogar scheinbar gegensätzlichen Lösung, einer anderen „Wahrheit“ gelangen. Kann und will man sich wirklich gegenseitig unterstellen, dass der jeweils andere inkompetent ist?
Die Herausforderung ist doch, erst einmal anzuerkennen, dass es offensichtlich viele verschiedene Perspektiven gibt, aus denen man sich einem Problem nähern kann. Und das sich aus jeder Perspektive eine andere Lösung ergeben kann. Jede dieser Lösungen ist also eine Teilwahrheit. Und offensichtlich müssen diese Teilwahrheiten, die unterschiedlichen Lösungen, zusammengeführt werden. Dazu wird allerdings ein größerer Rahmen notwendig, in den sich bis dahin scheinbar widersprüchliche Teilwahrheiten integrieren lassen.
Selbst wenn sich zwei Teilwahrheiten wie die beiden Pole eines Dipols (beispielsweise Nord- und Südpol eines Magneten) zu widersprechen scheinen, sind sie doch Bestandteil ein und des selben Dipols. Es ist „nur“ notwendig seine Fixierung auf einen der beiden Pole zu lösen und anzuerkennen, dass beide Pole zu einem größeren Ganzen gehören. Ein Pol kann nicht zu Lasten des anderen Pols isoliert werden. Eine solche Teil-Lösung kann nicht das gesamte Problem lösen. Das wäre so, als wollte man einen Stabmagneten in der Mitte teilen, um auf diese Weise den Nord- vom Südpol isolieren zu können, um dann den „ungeliebten“ Pol als „falsch“ zu verwerfen, um dann den anderen Pol als „richtig“ behalten zu können. Dieses Beispiel lässt sich auf alle Polaritäten übertragen, letztendlich auch auf so grundlegende Dichotomien wie „Innen vs. Außen“, „Subjekt vs. Objekt“, „Yin vs. Yang“.
Wir brauchen also eine neue Denkweise, die jeweils von einer höheren Ebene aus, die auf der niedrigeren Ebene entstandenen, sich scheinbar widersprechenden Lösungsansätze für ein Problem, integrieren kann.
„Probleme kann man niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
(Albert Einstein)